Unsere Kirche ist voller Engel – 74 an der Zahl haben wir gefunden. Wer genau hinsieht stellt fest, dass es dabei ganz verschiedene Arten von Engeln gibt, die sich gut unterscheiden lassen. In einer kleinen Serie möchte ich diese Gruppen von Engeln einmal genauer vorstellen.
1. Engel als Boten Gottes
Das Wort Engel leitet sich ab vom griechischen angelos, was eigentlich Bote bedeutet. Und so ist auch eine der wichtigsten Aufgaben der Engel in der Bibel ihr BoteSein. Das ist eine wichtige Beobachtung, denn in unseren Tagen werden häufig die Engel wichtig, weil man den Kontakt zu Gott selber irgendwie verloren hat. Dabei ist es bei den biblischen Engeln gerade anders herum: Gott tritt durch sie mit den Menschen in Verbindung! Gott ist die Kommunikation mit uns ganz wichtig.
Schon im Alten Testament treten immer wieder Engel als Gottes Boten auf, die wichtige Aufträge Gottes überbringen – Gideon etwa wird aufgerufen, in der Kraft Gottes die Midianiter zu besiegen (Richter 6) – oder die Geburt besonderer Helden ankündigen (Richter 13). Dabei fällt auf, dass es manchmal heißt Der Engel des Herrn sprach, und dann wieder: Der Herr sprach. Bote und Auftraggeber werden also ganz eng zusammengesehen.
Zu diesen Gottesboten gehört auch Gabriel im Lukasevangelium, der Maria die Geburt Jesu ankündigt. An unserer Kirchendecke ist er im nordöstlichen Seitenfeld dargestellt, wie er direkt aus der Wolke des Himmels vor die lesende Maria tritt. Lichtstrahlen begleiten ihn, der in der Hand die große Lilie hält Zeichen der jungfräulichen Reinheit Mariens.
Wie alle Engel in unserer Kirche hat auch dieser Gabriel Flügel auf dem Rücken. Diese Darstellungsweise hat sich auf christlichen Bildern durchgesetzt, um das plötzliche Auftreten dieser Gottesboten aus der Transzendenz zu symbolisieren. In der Bibel selber ist zwar von Flügeln bei bestimmten Engelsarten die Rede – die Seraphim etwa haben gleich sechs Flügel , aber gerade die Engel in Botenfunktion werden häufig als junge Männer im hellen Gewand beschrieben ohne einen Hinweis auf Flügel.
So heißt es auch nach der Himmelfahrt Christi: Und als sie Jesus nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Gewändern.Die sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen. (Apostelgeschichte 1, Vers 10 – 11).
Das große Deckengemälde Wilhelm Wunders in unserer Kirche stellt die Szene kurz vorher dar: Jesus verlässt segnend diese Welt und geht ins Licht zu seinem Vater. Dabei umschweben ihn viele Engel. Aber diese beiden Engel kommen als Boten Gottes zur Erde herab, um die Apostel auf seine Wiederkunft hinzuweisen. Wobei bei Wilhelm Wunder wie auch sonst bei den meisten Barockmalern eine Geschlechtsverschiebung der Engel zu beobachten ist: Seine Himmelswesen erscheinen eher feminin, sowohl von den Gesichtern, als auch von den Gewändern her. Das hat zwar mit dem Bibeltext nicht mehr viel zu tun, ist dafür aber schwungvoll und schön geraten.
Sind solche Gottesboten heute auch noch aktiv? Ich denke, eher selten. Und wenn, dann erkennen wir sie wahrscheinlich nicht sofort, weil sie wie ganz normale Menschen aussehen. Aber wenn wir manchmal ein Wort gesagt bekommen, das uns in unserem Herzen trifft und uns mit Gott verbindet, dann könnte es wohl sein, dass da gerade ein Engel als Bote Gottes mit uns geredet hat.
Eines ist aber sicher: Der ewige Gott will mit uns reden. Er sucht den Kontakt zu uns, hat uns viel zu sagen. Ob er dazu nun die Bibel verwendet oder andere Christen oder richtige Engel – das ist gar nicht so wichtig. Entscheidend ist, dass diese Kommunikation zustande kommt. Daran wollen uns die Engel mit Botenauftrag in unserer Kirche erinnern.
2. Schutzengel
Als weitaus beliebtesten Taufspruch wählen viele Eltern Psalm 91,11-12: Denn Gott hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest. Sie wünschen sich in unseren gefährlichen Zeiten einen Schutzengel für ihr Kind. Und anscheinend geht dieser Wunsch durch die Jahrhunderte. Denn auf unserem Taufstein, der ja noch aus der Vorgängerkirche stammt – wahrscheinlich vom Ende des 16. Jahrhunderts – sind vier dieser Schutzengel dargestellt. In alle Himmelsrichtungen blicken sie, um Gefahren aus allen Richtungen abzuwehren. Erwachsene übersehen sie leicht, aber Kinder entdecken diese Engel am Taufstein meist sofort, sind sie doch in ihrer Augenhöhe angebracht.
Engel am Taufstein
Auch Jesus ist der Meinung, dass die Kleinen besondere Engel haben. Er sagt: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel. (Matthäus 18, 10). Ein hochinteressanter Gedanke! Er sieht diese Engel weniger auf der Erde um die Kinder herum, sondern vielmehr bei Gott, wo sie offensichtlich für eine direkte Beziehung der Kinder zum himmlischen Vater sorgen. Und wehe den Erwachsenen, – so heißt es im Vers vorher – die diese Vertrauensbeziehung zerstören!
Schutzengel sind jedenfalls deutlich in der Bibel bezeugt. Sie führen Lot und seine Familie aus Sodom, der verdorbenen und dem Untergang geweihten Stadt (1. Mose 19). Dem Knecht Abrahams wird auf einer schwierigen Reise versprochen: Der HERR wird seinen Engel vor dir her senden! (1. Mose 24,7) Und David hat es so erfahren: Der Engel des HERRN lagert sich um die her, die ihn fürchten, und hilft ihnen heraus. (Psalm 34,8) Einmal wird der Prophet Elisa durch ein ganzes Heer von kriegerischen Engeln vor seinen Feinden beschützt.
Besonders ausführlich berichtet das Buch Tobit von Erlebnissen mit dem helfenden Engel Rafael. Es hat aber wegen der legendenartigen Erzählweise keinen Eingang in die Lutherbibel gefunden.
In den Schutzengeln zeigt sich der Wille Gottes, seinen Menschenkindern – auch den Großen – zu helfen und sie vor Unheil zu bewahren. Wobei für die Bibel das größte Unheil nicht im menschlichen Leid oder Unglück besteht, sondern darin, dass ein Mensch von Gott weg kommt und die Beziehung zu ihm verliert und er so ewig verloren geht.
Engel vom Deckengemälde Wilhelm Wunders (Detail)
Selbst in unserer modernen Zeit, in der sonst alles Übernatürliche in Zweifel gezogen wird, haben Schutzengel Hochkonjunktur: In Berichten von gnädig verlaufenen Unfällen auf der Autobahn finden sie Eingang in die Presse, in vielen Schlafzimmern hängen ihre Bilder über dem Ehebett und es ist eine der ergreifendsten Szenen in der beliebten Märchenoper „Hänsel und Gretel“ von Engelbert Humperdinck, wenn 14 Engel das Geschwisterpaar bei der Nacht im tiefen Wald umstehen. Und auch für mich ist es ein schöner, tröstlicher Gedanke zu wissen, dass Gott extra Engel ausschickt, um mich in gefahrvollen Augenblicken zu behüten und bewahren.
Nach dem biblischen Zeugnis gibt es nur eine Sache, die Engel und natürlich auch Schutzengel überhaupt nicht schätzen: wenn zu ihnen gebetet wird! Als Johannes das am Ende des Offenbarungsbuches versucht, wird er von seinem Engel streng zurechtgewiesen: Tu es nicht! Denn ich bin dein Mitknecht und der deiner Brüder. ... Bete Gott an! (Offenbarung 22,9) Hier klingt an, was auch im Hebräerbrief über die Engel geschrieben wird: Sie sind allesamt dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die das Heil ererben sollen. (Hebräerbrief 1,14)
Die Bibel sieht Engel konsequent als Diener Gottes, die eigentlich in der göttlichen Hierarchie weit unter seinen Kindern stehen. Es wäre also völlig abwegig zu ihnen zu beten, wo wir doch direkt mit unserem himmlischen Vater reden dürfen. Ich halte es deshalb auch für nicht hilfreich, Kindern Gebete zum Schutzengel beizubringen. Unsere Kleinsten dürfen ganz direkt und persönlich mit dem Vater im Himmel sprechen. Darüber freut er sich am meisten.
3. Musizierende Engel
Engel und Musik – das gehört doch irgendwie zusammen! Wenn der Himmel voller Geigen hängt – wer soll sie denn spielen? Wenn die himmlischen Heerscharen an Weihnachten auf dem Hirtenfeld erscheinen und Gott loben – singen und musizieren sie dann nicht? Ich erinnere mich an viele bildhafte Darstellungen von singenden Engeln. Oder z.B. im Kreuzgang von Himmelkron: Da spielen sie eine Vielzahl von mittelalterlichen Instrumenten, eine wahre Fundgrube für die Musikwissenschaftler.
Engel mit Zimbeln vom Hochaltar
Johann Georg Brenck 1680
Als ich dann allerdings in der Bibel nachsah, in der Erwartung, jede Menge Belegstellen für Engelsgesang und Engelsmusik zu finden, da wurde ich einigermaßen enttäuscht. Natürlich heißt es immer wieder, dass die Engel Gott loben, aber fast nie ist die Rede davon, dass sie es gesungen tun. Das ergänzen wir gewöhnlich aus unserer Vorstellung. Als etwa Jesaja einen Blick in den himmlischen Thronsaal werfen darf, da sieht er die sechsflügeligen Serafim: Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll! (Jesaja 6,3) Sie rufen also und sprechen, aber ob sie dabei singen?
Oder die Weihnachtsgeschichte: Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens. (Lukas 2,13) Auch hier nur loben und sprechen.
Es scheint so, als ob die Bibel die Musik besonders uns Menschen zuordnen wollte, als menschliche Möglichkeit, Freude, Trauer und andere Gefühle auszudrücken. Schon ganz am Anfang werden in der Bibel neben den Vieh züchtenden Nomaden und vor den Schmieden als zweite Berufsgruppe die Zither- und Flötenspieler genannt (1. Mose 4,21). Und als ganz am Ende der Bibel Johannes einen Blick in die Welt Gottes werfen darf, da sind es erlöste Menschen, die um den Thron Gottes herum auf den Harfen spielen und ein neues Lied ausdrücklich singen (Offenbarung 5,8-9), im Unterschied zu den Engeln, die kurz vorher das Lob Gottes wieder einmal nur sprechen (Offenbarung 4,8).
Engel mit Trompete vom Hochaltar
Johann Georg Brenck 1680
Im gleichen Buch der Offenbarung treten nun aber tatsächlich Engel mit Instrumenten auf: die sieben Posaunenengel (Kapitel 8,2). Bei diesen Posaunen handelt es sich allerdings eher um Signaltrompeten als um Instrumente zum harmonischen Musizieren. Im gleichen Buch gibt es auch einen Hinweis auf Gesang der Engel im Himmel, der klang wie die Stimme eines großen Wassers und wie die Stimme eines großen Donners. Und die Stimme, die ich hörte, war wie von Harfenspielern, die auf ihren Harfen spielen. Und sie – die Engel – sangen ein neues Lied vor dem Thron (Kapitel 14,2-3). Ein unbeschreiblich gewaltiger Gesang, der mit menschlichen Musikvorstellungen kaum zu fassen ist, so dass dann auch nur die Auserwählten dieses Lied lernen können.
Wenn man es recht bedenkt, ist die Vorstellung, im Himmel des ewigen Gottes würde mit menschlichen Instrumenten Musik gemacht, reichlich naiv, ebenso wie der Satz des großen Theologen Karl Barth, dass die Engel vor Gottes Thron wohl Bach spielen würden, für sich allein aber Mozart. Es sind Versuche, die gewaltigen Dimensionen Gottes in unser menschliches Maß zu fassen.
Trotzdem dürfen wir uns an der wunderbaren Gabe der Musik freuen und sollen sogar Gott mit diesen Mitteln loben und anbeten. Dazu wollen die beiden musizierenden Engel auf unserem Altar einladen. Einer bläst die Trompete, der andere schlägt die Zimbeln. Beide wurden von dem bedeutenden Bildhauer Johann Georg Brenck um das Jahr 1680 herum geschaffen, wie auch Kanzel und Altar. Allerdings hatten diese beiden Engel ihren ursprünglichen Platz auf der Orgel. Sie wurden wahrscheinlich 1842 auf den Altar versetzt, als die neue, größere Orgel entstand. Die nachträgliche Befestigung ist noch deutlich zu erkennen.
4. Engel mit Symbolen
Eine sehr interessante und große Gruppe von Engeln in unserer Kirche sind diejenigen, die Symbole tragen und präsentieren.
Engel mit dem Hammer vom Kanzeldeckel (Johann Georg Brenck)
Bereits Johann Georg Brenck setzte um 1680 auf den Kanzeldeckel der damals neuen Kanzel für die Vorgängerkirche sechs kleine Engel mit den Marterwerkzeugen von der Kreuzigung Christi: Ein Nagel vom Kreuz, die Geißel, mit der Jesus ausgepeitscht wurde, die Lanze, mit der man in seine Seite stach, die Leiter, die zur Kreuzabnahme gebraucht wurde und der Hammer werden der Gemeinde gezeigt, um sie an die Leiden Christi zu erinnern. Einer der Engel hielt wohl das Rohr mit dem Essigschwamm, den die Soldaten Jesus gegen den Durst reichten. Allerdings ist dieses Symbol verloren gegangen, die Hände des Engels sind jetzt leer.
Später dann, in der neuen Kirche, schuf Giovanni Pedrozzi an der wunderbaren Stuckdecke vier Heilssymbole, die allesamt von Engeln gezeigt werden: die eherne Schlange, deren Anblick die Israeliten vor dem Tod bewahrte (4. Mose 21), die zehn Gebote, das Kreuz Christi mit der Dornenkrone und das Lamm Gottes mit dem versiegelten Buch (Offenbarung 5).
Aber auch Wilhelm Wunder stellt auf seinem großen Deckengemälde einige der Engel mit Symbolen in den Händen dar: Sie zeigen Palmzweige, die standhafte Christen als Siegeszeichen bekommen, und einen Abendmahlskelch.
Engel mit dem Abendmahlskelch vom großen Deckengemälde (Wilhelm Wunder)
Wie kam es zu dieser Art von Darstellung? In der Bibel selbst wird es ja nicht als Aufgabe der Engel beschrieben, den Christen Symbole zu zeigen. Den deutlichsten biblischen Bezug hat der Engel mit den Gebotstafeln. Denn im Neuen Testament weisen Paulus und Stephanus darauf hin, dass die Gebote durch die Vermittlung von Engeln gegeben wurden (Galater 3, 19; Apostelgeschichte 7, 53). Aber die vielen anderen Symbole?
Engel mit den 10 Geboten von der Kirchendecke (Giovanni Pedrozzi)
Ein Anknüpfungspunkt könnte bei den Propheten Hesekiel und Sacharja im Alten Testament liegen. Diese bekommen nämlich von Engeln in Visionen Offenbarungen Gottes gezeigt. Bei Sacharja sind es z.B. einmal zwei Ölbäume und ein goldener Leuchter oder eine fliegende Schriftrolle (Sacharja 4 und 5). Anschließend erklärt der Engel dem verständnislosen Propheten, was er da schaute. Meistens sind es Visionen vom zukünftigen Heil, die die Engel vermitteln. Da ist der Weg nun nicht mehr weit, dass Künstler der Barockzeit den Engeln Zeichen der christlichen Erlösung in die Hand drücken. Denn im Hebräerbrief heißt es ja von den Engeln: Sind sie nicht allesamt dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die das Heil ererben sollen? (Hebräer 1,14) Und könnten sie uns einen besseren Dienst tun, als uns eben an das Leiden Jesu für uns zu erinnern?
Engel mit dem Kreuz von der Kirchendecke (Giovanni Pedrozzi)
Mancher Theologe hat in unserer Kirche schon beklagt, dass das Kreuz Christi nicht im Zentrum stünde. Das ist natürlich zum Teil richtig: Das Kreuzigungsgemälde an der Decke findet sich relativ klein über dem Südportal und auf der Spitze des Altares steht nicht das Kreuz, sondern der auferstandene Christus mit der Siegesfahne. Wenn wir uns aber von den Engeln helfen lassen, sehen wir, welches Gewicht das Leiden und Sterben Christi in dieser Kirche doch hat! Überall rufen sie uns zu: Schau nur, der Ham¬mer! Damit wurde Jesus ans Kreuz geschlagen. Schau nur, das Kreuz mit der Dornenkrone! Alles aus Liebe zu uns erlitten! Schau nur, was Gott alles getan hat, um uns zu retten!
Engel mit der Leiter vom Kanzeldeckel (Johann Georg Brenck)
Von der Bibel her ungewöhnlich ist allerdings die Darstellung der Engel als kleine, unbekleidete Knaben. In der Kunstgeschichte spricht man von „Putten“ (von italienisch „putto“ = Knäblein). In der Bibel dagegen werden Engel als starke, männliche Gestalten geschildert. Die Darstellung als Putten dürfte in der Renaissancezeit aus antiken heidnischen Abbildungen des Liebesgottes Amor in die christliche Kunst eingedrungen sein. Jedenfalls waren sie dann in der Barock- und Rokokozeit ungeheuer beliebt und modern. Daran sollten wir uns nicht stören, sondern wir dürfen uns von ihnen in unserem Glauben helfen lassen, wenn sie uns zeigen, was wichtig ist.
5. Engelspaare
Sehr auffällig in unserer Kirche ist, dass die Engel häufig zu Paaren angeordnet sind. Besonders die vier großen, plastischen Engelspaare aus Stuck, die auf dem umlaufenden Gesims platziert sind, fallen hier ins Auge. Der Meisterstuckateur Giovanni Pedrozzi hat sie geschaffen. Aber auch in der Deckenfläche sind immer wieder Engel paarweise gruppiert und Wilhelm Wunder folgt ebenfalls diesem Gestaltungsprinzip bei vielen seiner Engel im großen Deckengemälde. Was hat es damit auf sich?
Engelspaar vom Gesims (Giovanni Pedrozzi)
Wer seine Bibel kennt weiß, dass auch in den biblischen Berichten Engel immer wieder paarweise auftreten, z.B. im leeren Grab Jesu: Maria ... schaute in das Grab und sieht zwei Engel in weißen Kleidern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten. (Johannes 20, 12 – in den andern Evangelien nur ein Engel!) Auch bei der Himmelfahrt Christi heißt es nach dem Verschwinden Jesu in der himmlischen Wolke: Als sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Gewändern, die sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen. (Apostelgeschichte 1,10-11) Dieses Ereignis wird ja auf unserem Deckengemälde dargestellt.
Aber sehr wahrscheinlich gibt es noch eine tiefere Bedeutung: Im 1. Korintherbrief Kapitel 13 schreibt der Apostel Paulus das sog. Hohelied der Liebe. Es beginnt so: Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und am Ende heißt es dann: Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen. Pedrozzi stellt nun seine Engel nicht dar, wie sie mit ihren Zungen reden oder singen, sondern wie sie liebevoll miteinander verbunden sind. Sie symbolisieren so die Liebe, ohne die alles andere nichts ist, ohne die alles menschliche Reden nur Krach und Lärm ist.
Engelspaar vom Deckengemälde (Wilhelm Wunder)
In der Bibel wird nirgends beschrieben, dass Engel lieben würden. Jesus sieht sie zudem als geschlechtslose Wesen (Matthäus 22,30). Weder Liebe untereinander, noch Gott gegenüber, noch zu den Menschen wird erwähnt. Wohl loben sie Gott und beten ihn an und natürlich dienen sie ihm und auch denen, die Gott vertrauen. Aber es fehlt ihnen die Freiheit, die ja Voraussetzung für echte Liebe ist. So ist Liebe ein Wesenszug Gottes und eine Möglichkeit für uns Menschen, aber nicht für dienende Geschöpfe, wie es die Engel sind.
Engelspaar von der Stuckdecke (Giovanni Pedrozzi)
Weil nun aber die himmlische Liebe, griechisch „agape“, die Erfüllung des menschlichen Lebens ist, wird sie in unserer Kirche durch die Engel dargestellt! Sie sollen uns zu dieser Liebe herausfordern, verlocken. Jesus sieht es als unsere Bestimmung als Menschen, zu lieben! Und zwar Gott, unseren Nächsten und uns selbst! (Matthäus 22,37+39). Und erst recht in der Gemeinde der Christen, die sich in diesem Gotteshaus versammelt, soll die göttliche Liebe zur Geltung kommen: Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat! (Römerbrief 15,7)
Engelspaar vom Gesims - Ausschnitt (Giovanni Pedrozzi)
Überhaupt sind ja Liebe und Gemeinschaft Hauptthemen im ganzen Kirchenbau, der durch die Anordnung des Gestühls um den Altar herum den Blick bewusst auf den Mitchristen lenkt. Dasselbe bei der umlaufenden ersten Empore: Gemeinschaft derer, die auf Jesu Worte hören und sein Abendmahl essen! Und diese Gemeinschaft soll von Liebe und Annahme des anderen geprägt sein – so rufen es uns die Engelspaare zu, die sich einander liebend zuwenden. Und dabei schauen sie natürlich auch interessiert auf die Gemeinde herab, die sich Sonntag für Sonntag durch die Jahrhunderte unter ihnen versammelt: Wird unsere Botschaft auch gehört und gelebt?
6. Engel in der Bibel und bei uns
Angeregt durch die vielen Engel in unserer Kirche habe ich mich in letzter Zeit intensiver mit dem Thema „Engel“ befasst. Für mich war das eine spannende Entdeckungsreise durch die Bibel. Mir ist vorher nie aufgefallen, wie häufig von diesen himmlischen Wesen hier eigentlich die Rede ist: Angefangen damit, dass im ersten Kapitel der Bibel bei dem Aufruf Gottes „Lasset uns Menschen machen“ (1. Mose 1,26) wohl die Engel um Gottes Thron gemeint sind. Und noch im letzten Kapitel der Heiligen Schrift ist ein Engel aktiv und zeigt dem Seher Johannes das himmlische Jerusalem (Offenbarung 22). Und auch dazwischen, oftmals an ganz entscheidenden Stellen – immer wieder tauchen Engel auf, reden, handeln im Auftrag Gottes.
Warum ist mir das vorher nie richtig bewusst geworden? Natürlich habe ich alle diese Bibelstellen gekannt. Aber ich habe mich nicht größer um sie gekümmert. Schließlich kam mir der Gedanke: Das ist doch eigentlich genau das, was Gottes Engel wollen: Sie sind da, helfen, wirken das, was Gott will. Aber sie drängen sich selber nie in den Vordergrund. Sie bleiben lieber verborgen und sorgen dafür, dass der die Ehre bekommt, der die Hauptperson ist, Jesus Christus!
Schon im Neuen Testament ist eine Auseinandersetzung zu beobachten mit christlichen Gruppen, die den Engeln einen größeren Stellenwert gaben. Im Kolosserbrief schreibt Paulus: Lasst euch den Siegespreis von niemandem nehmen, der sich gefällt in falscher Demut und Verehrung der Engel ... (Kapitel 2,18). Engelsverehrung kam damals anscheinend gut an. Aber viel wichtiger ist für Paulus, sich an das Haupt der Gemeinde – Christus – zu halten. Im Hebräerbrief wird im Kapitel 1 ausführlich die Frage verhandelt: Wer steht höher – Jesus oder die Engel? So stellt der unbekannte Autor die rhetorische Frage: Zu welchem Engel hat Gott jemals gesagt: »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt«? (Hebräer 1,5) Natürlich zu keinem, sondern allein zu Jesus – so wird argumentiert. Dieser sitzt zur Rechten Gottes auf dem Thron und regiert mit Gott über die ganze Welt. Von den Engeln dagegen heißt es im Vers 14: Sind sie nicht allesamt dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die das Heil ererben sollen?
Offensichtlich ist es nicht weiter tragisch, wenn wir Engel übersehen, solange wir Gott selber anbeten und ehren. Denn in seinem Auftrag handeln sie, richten seine Worte aus, führen seinen Willen auf der Erde durch und schützen und behüten uns, weil wir Gottes geliebte Kinder sind. So treten sie als dienende Boten ganz hinter ihrem Auftraggeber zurück.
Überhaupt gibt es Stellen im Neuen Testament, die die Engel nicht nur positiv sehen. Im Römerbrief schreibt Paulus: Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, ... noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn (Kapitel 8,38-39). Hier finden sich die Engel in einer Reihe mit Kräften, die uns von Gott wegtreiben könnten, wenn seine Liebe nicht stärker wäre. Es ist sogar die Rede von Engeln, die auf der Seite des Teufels stehen (Matthäus 25,41). Paulus leidet unter des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll (2. Korinthterbrief 12,7). Ebenso spricht die Bibel von Engeln, die gesündigt, sich also gegen Gott gestellt haben (2. Petrusbrief 2,4).
Es kann für uns als Christen deshalb nicht darum gehen, durch Engel irgendwie Zugang zu der jenseitigen Welt Gottes zu bekommen und Transzendenzerfahrungen zu machen. Diese Sehnsucht besteht ja durchaus in einer Welt, die immer stärker von Vernunft, Wissenschaft und Diesseitsorientierung geprägt wird. Die Bibel lädt uns vielmehr ein, Gott selbst zu begegnen in seinem Sohn Jesus Christus. Das ist der Weg, den uns Gott weist, auf dem wir Zugang zu seiner Welt bekommen. Seine Engel wollen uns genau dazu helfen, deshalb bleiben sie lieber im Hintergrund. Wo Engel zu sehr in den Mittelpunkt gerückt werden besteht vielmehr die Gefahr, dass wir die Mitte und Hauptperson unseres Glaubens verlieren. So freuen wir uns über die schützenden und helfenden Engel Gottes, danken und loben aber Gott selber dafür.
Text und Fotos: Claus Bergmann